*** A Beautiful Day ***

 
abd kritik
 
Autor: Walter Hummer
         
In Lynne Ramsays neuen Film spielt Joaquin Phoenix einen gewalttätigen Mann, der in einer brutalen Welt alle Probleme mit einem Hammer löst. Und nein, er ist weder Tischler noch Maurer.
 
If I had a hammer
 
Ein Mann zieht sich selbst eine Tüte über den Kopf, um sich die Atemluft abzuschneiden. Anschließend wischt er Blut von einem Hammer und beseitigt den Hammer und andere Gegenstände. Er verlässt ein billiges Hotel durch den Notausgang. In einer Gasse wird er angegriffen. Er verteidigt sich schnell und brutal. Er nimmt ein Taxi zum Flughafen von Cincinatti. Von einem öffentlichen Telefon meldet er den Vollzug eines Auftrags.
 
Wieder daheim in New York muss er sich um seine alte Mutter kümmern, die bei ihm lebt. Der Mann namens Joe holt sich die Bezahlung für seinen letzten Job ab. Später bekommt er einen neuen Auftrag. Nina, die halbwüchsige Tochter eines Senators wurde verschleppt. In einer Art Geheimbordell in Manhattan wird sie zur Prostitution gezwungen. Mit einem Hammer und anderen Hilfsmitteln aus dem Baumarkt stürmt Joe das Gebäude und befreit das Mädchen. Aber der Senator hat mittlerweile Selbstmord begangen. Und plötzlich wird Nina nochmal entführt. Joe überlebt schwer verletzt. Aber die Entführer wollen keine Spuren zurücklassen.
 
 
„A Beautiful Day“ ist ein schwieriger Film, der nicht nur viele Zuseher überfordern wird. Es wirkt, als wäre sogar dem Studio unklar, was man mit dem Film anfangen soll. Bereits vor fast einem Jahr lief der Film unter dem Titel „You were never really here“ bei den Filmfestspielen in Cannes. Dort wurde er mit den Preisen für das beste Drehbuch und den besten Hauptdarsteller ausgezeichnet. In den USA kam der Film aber gar nicht in die Kinos, sondern ist dort erst seit kurzem nur über amazon zu sehen. Nun hat man für den europäischen Markt nochmal den Titel geändert. Es ist nicht so, als wäre einer der beiden Titel weniger passend als der andere. Man fragt sich bloß, wozu diese Änderung nötig gewesen sein soll?
 
I’ve never been to me
 
Auch der Film selbst wirkt manchmal etwas uneinheitlich. Viele Teile des Films sind hervorragend gestaltet. Kamera, Schnitttechnik und vor allem Sounddesign arbeiten auf höchstem Niveau. Selten hört man in einem Spielfilm einen derart realistischen Ton. In anderen Filmen klingen Schläge, egal ob mit der Faust oder einem harten Gegenstand ausgeteilt, immer lächerlich. Hier hören wir den stumpfen Aufprall eines Hammers oder einer Faust auf menschlichem Gewebe genauso wie er tatsächlich klingen würde. In den Straßen New Yorks oder in Läden oder Lokalen klingt die Geräuschkulisse immer als wäre sie tatsächlich vor Ort aufgenommen worden. In diesem Film sind die Protagonisten nicht nur visuell sondern auch akustisch ein Teil ihrer Umgebung.
 
Die schottische Regisseurin Lynne Ramsay hat vor einigen Jahren mit „We need to talk about Kevin“ einen ebenso originellen wie schwierigen Film gemacht. In ihrem zweiten Spielfilm arbeitet sie nun nach einem eigenen Drehbuch nach einer Vorlage von Jonathan Ames. Und wieder sind viele Details der Geschichte sehr originell, einige vermögen uns sogar zu überraschen. Ramsay gelingt es zum Beispiel ganz hervorragend, die Gewalttätigkeit der Hauptfigur zu vermitteln, ohne dabei jedes brutale Detail in Nahaufnahme zu zeigen.
 
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Die Sequenz, in der Joe das Bordell stürmt, wird aus der Perspektive von Überwachungskameras gezeigt und wirkt dadurch viel eindrucksvoller als hätte man jede einzelne Gewalttat in Nahaufnahme gezeigt. In einer Rückblende zu Joes Zeit als Soldat im Irak wird ein Junge fast wie nebenbei von einem anderen erschossen. Diese Szene dauert nur wenige Sekunden, wie das auch im realen Leben wohl der Fall wäre. Die zuckenden nackten Füße des Sterbenden erzeugen aber ein starkes Bild. Auch andere traumatische Erlebnisse aus Joes Vergangenheit werden nicht detailliert gezeigt und dann nochmal elendslang erklärt, wie wir das aus so vielen Filmen kennen. Kurze, schnelle Rückblenden schaffen hier verstörende Bilder einer furchtbaren Kindheit.
 
Viele Details der Geschichte kommen für den Zuseher dann wirklich absolut überraschend. In einer Szene macht man sich schon darauf gefasst, den Helden gleich einen sterbenden Gangster foltern zu sehen. Was dann folgt, ist ein Akt der Gnade von merkwürdiger Schönheit. Auch Joes Umgang mit seiner alten Mutter hat etwas zutiefst Menschliches und Realistisches.
 
Leider funktionieren nicht alle Teile der Geschichte auf diese Art. Wie soll Joe davon leben können, ausschließlich verschleppte Teenager mit dem Hammer zu befreien? Warum hinterfragt niemand, wieso ein hochrangiger Politiker seine Tochter nicht von den Behörden aus dem Bordell befreien lässt? Joe ist angeblich ein Profi. Aber bereits in der ersten Szene sehen wir ihn sehr sorglos mit Beweismitteln umgehen. Im Verlauf des Films lässt es sich dann nicht mehr zählen, an wie vielen Tatorten er seine Fingerabdrücke und andere Spuren zurücklässt. Sein Blut (und damit seine DNS) bleibt an mindestens fünf verschiedenen Tatorten zurück. Und auch wenn Hollywood-Helden immer schon mit schlimmen Verwundungen weiterkämpfen konnten, könnte Joe seine Schussverletzung selbst in einem Film nicht einfach nur mit einer Zange behandeln.
 
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A - you’re adorable
 
Der Ex-Soldat Joe wird im wahrsten Sinne des Wortes von Joaquin Phoenix „verkörpert“. Sein grauer Bart hängt über einem vernarbten Berg von Muskeln, die von den Jahren mit einer schützenden Fettschicht überzogen worden sind. Genauso sehen altgewordene Kämpfer aus. Nachdem Phoenix erst kürzlich einen sehr verwirrten Jesus gespielt hat, überzeugt er nun als Mann der unter physischen und psychischen Schmerzen leidet und diese trotzdem immer wieder für die Dauer eines Kampfes einfach zur Seite schieben kann.
 
Judith Roberts sieht man seit mehr als vier Jahrzehnten immer wieder in Nebenrollen in Film und Fernsehen. Eine größere Rolle hatte sie zuletzt in „Orange is the new black“. Mit über achtzig Jahren hat diese Frau ein Gesicht, das jenseits von schön und viel mehr als bloß interessant ist. In ihrer kleinen Rolle als Joes Mutter verleiht sie dem Film enormes emotionales Gewicht.
 
Die vierzehnjährige Ekaterina Samsonov wirkt in ihrer Rolle als Nina nicht wie ein Opfer, sondern wie ein Engel. Am Ende muss man sich fragen; hat Joe sie vielleicht nur geträumt?
 
Fazit
 
„A Beautiful Day“ ist sicher kein einfacher Film. Und er hat sicher seine Schwächen. Aber am Ende überwiegen die vielen hervorragenden Teile des Filmes.
 
 
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