***Gänsehaut***

gh kritik
 
Autor: Manuel Boecker
 
„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, jammert der Zauberlehrling in Goethes Ballade. Ungefähr genauso ergeht es den drei Teenagern Zach, Hannah und Champ, als sie unfreiwillig die literarischen Monster des Schriftstellers R.L. Stine aus ihren Büchern befreien und damit zu gefährlichem Leben erwecken.
 
Der neue Familien-Gruselfilm mit Jack Black als kauzigem Bestseller-Autor löst beim Zuschauer einige körperliche Reaktionen hervor. Kopfschütteln, Gelächter oder aufgerissene Augen – die titelgebende „Gänsehaut“ ist nicht dabei.
 
Knapp vierhundert Millionen verkaufte Bücher wecken auch Begehrlichkeiten bei Filmfirmen. Und folgerichtig stürzten sich die Produzenten Deborah Forte und Neal Moritz nun auf die Filmadaption der Kinderbuchreihe des New Yorker Autors R.L. Stine. Die Schwierigkeit, welchen der knapp 100 Bände man verfilmen sollte, lösten die Filmemacher auf typisch amerikanische „Super-Size“-Weise und warfen einfach dutzende Geschichten und damit verschiedenste Grusel-Kreaturen in den Drehbuch-Kochtopf.
 
Herausgekommen ist ein Monster-Medley beeindruckenden Ausmaßes, wobei die meisten Viecher durch ihre schlichte Größe und nicht durch ihre Gruselqualitäten imponieren.
 
 
Viele Monster und bewährtes Strickmuster (Achtung! Spoiler!)
 
Das Strickmuster der Geschichten und damit auch des Films ähnelt allen Dramaturgien des Genres: Ein jugendlicher Neuankömmling, hier der smarte Zach, wird durch den Job seiner Mutter in ein waldiges Kaff in Delaware gespült, wo im verwunschenen Nachbarhaus ein mysteriöses Geheimnis auf ihn wartet. Anscheinend wird dort die hübsche Hannah (putzig, ein kindliche Doppelgängerin von Mila Kunis) von ihrem verschroben-aggressiven Vater gefangen gehalten.
 
Mit Unterstützung des nerdigen Loosers Champ lockt Zach den väterlichen Bewacher aus dem Haus und startet die Befreiungsaktion seiner Liebsten. Die ist darüber aber gar nicht so glücklich, denn die beiden jugendlichen Tolpatsche öffnen im Haus die mit einem Schloss gesicherten Buchmanuskripte ihres Vaters. Der ist kein geringerer als der berühmte Schreiber der „Gänsehaut“- Gruselreihe und kommt gerade noch rechtzeitig, bevor die drei Teenies vom „Schneemann von Pasadena“, einem verfressenen Zottel-Yeti, verspeist werden können.
 
Der cholerische R.L. Stine (charakterlich eindeutig nicht vom Original-Autor beeinflusst) klärt die Freunde seiner Tochter über die Vorgeschichte des Monsters auf: Der Misanthrop erfand die Kreaturen einst als Rache an seinen verhassten Mitmenschen, seitdem müssen die Manuskripte fest verschlossen sein, damit seine Geschöpfe in der realen Welt keinen Schaden anrichten können. Genau das passiert aber nun, da eine fiese Holzpuppe, Slappy, (an den Gesichtszügen klar als böses Alter Ego von R.L. Stine zu erkennen), alle Bücher öffnet und über die Stadt verteilt.
 
In der Folge zieht eine grauenhafte Bande aus Killer-Gartenzwergen, Riesen-Insekten und ein etwas dämlicher Werwolf als Terror-Kommando durch die Stadt. Da die Viecher aus der Literatur ausgebüchst sind kann auch nur ein Buch die dunklen Mächte wieder bändigen. Also versucht der Autor in all dem Chaos eine neue Geschichte zu schreiben, bevor die Kleinstadt mitsamt den feiernden Jugendlichen der High-School, vom teuflischen Rädelsführer Slappy in Schutt und Asche gelegt wird. Auf ihrem Weg verschanzt sich die ängstliche Reisegesellschaft mal in einem Supermarkt, mal auf dem Friedhof, um doch immer wieder von einem hechelnden Werwolf oder schwankenden Zombies vertrieben zu werden. Im Mondschein kommt Zach schließlich einem Geheimnis auf die Spur, dass er eigentlich gar nicht erfahren wollte…
 
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Horror ohne Opfer und Spannung
 
Trotz der geballten Ansammlung grausiger Kreaturen brauchen sich allzu schreckhafte Gemüter nicht ständig die Hände vor die Augen halten. „Gänsehaut“ bleibt in Bezug auf die Horror-Effekte harmlos und damit gewollt bei der Altersgruppe der 10 bis 15-Jährigen hängen.
 
Aufgelockert werden die teils analog, teils Computer-animierten Riesenviecher mit selbstreferentiellen Scherzen, etwa wenn sich der Autor über gelungene Kreaturen freut oder so manche Charaktereigenschaft seiner Erfindung schon vergessen hatte. Im Gegensatz zu „härteren“ Filmen des Genres „echter Horrofilm“ gibt es hier auch keine Opfer zu beklagen, die gefletschten Zähne und Riesenklauen schlagen sich nie ins Fleisch, teenie-gerecht soll nur erschreckt, aber nicht schockiert werden.
 
Der gewählte Erzählmodus führt aber leider auch dazu, jegliche Spannung aussen vor zu lassen, von der dutzendfach angesprochenen Gänsehaut, wie oben erwähnt, ganz zu schweigen. Die Bezeichnung „Adventure-“ oder „Fantasyfilm“, im Stile des Klassikers „Jumanji“ wäre wohl eine treffendere Wahl gewesen. Die pure Masse an lautstarken und kampfbereiten Scheusalen hätte der Regisseur Rob Lettermann gerne zugunsten von ein wenig mehr Thrill und feinfühligem Grusel zurück schrauben können. Das hätte den Charakter des Films als ein „Best-Off-Schaulaufen“ der Monster verringert und mehr Schärfe und Suspense in die Suppe gegeben, was die jugendliche Zielgruppe sicherlich verkraftet hätte.
 
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Fazit
 
So bleibt der enorme filmtechnische Aufwand, etwa CGI-Qualitäten wie in weitaus teureren Filmen oder die puppenspielerische Raffinesse bei Slappy, in einem äußerst überschaubaren, spannungsarmen Drehbuch stecken.
 
Jack Black als kauziger Autor wühlt sich wie gewohnt in seine Figur und grimassiert und krakeelt was das Zeug hält. Seine Gefährlichkeit der Anfangsszenen muss er jedoch leider schnell ablegen, wieder ein Tribut an die Altersbeschränkung des Drehbuchs. Daneben verpufft auch sein innerer Kampf mit Slappy (nicht zu verwechseln mit Chucky, der Mörderpuppe) zu einem harmlosen Duell. Das Jugendtrio aus Dylan Minette, Odeya Rush und Ryan Lee zeigt solides schauspielerisches Handwerk, das Liebespaar driftet glaubhaft in die ersten Schwärmereien ab und der dritte Mann, Ryan Lee, darf als Champ ein paar treffende Pointen setzen.
 
Die Hauptfiguren schaffen es am Ende der Geschichte, die ausgebrochenen Kreaturen wieder in das Buch zu saugen. „Gänsehaut“ gelingt selbiges, nämlich die Zuschauer wirklich in den Film zu saugen, über lange Strecken nicht. Die ebenso geniale wie schon mehrfach erprobte Dramaturgie, in der Filmgeschichte eine literarische Figur lebendig werden zu lassen, schafft eine seltsame Distanz zu den erweckten Monstern.
 
Unbedrohlich entrückt bleiben die Zombies und Riesenspinnen nur „Hirngespinste“ und dienen nie als wirkliche Gegenspieler der Jugendbande. Am Ende überwiegt beim Zuschauer der Eindruck, zwar einen temporeichen und perfekt choreografierten Abenteuerfilm gesehen zu haben, aber um die Gänsehaut betrogen worden zu sein. Das selbstironische Scharmützel des Autors mit dem zitierten „Konkurrenten“ Stephen King endet eindeutig zu Lasten von R.L. Stine...