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*** Nobody ***

 
dfdh kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Man bekommt ja viel zu selten existentialistische Dramen im Kino zu sehen. Und nur bei den allerwenigsten dieser Filme wird jemand in Nahaufnahme mit einer Antipersonen-Mine in die Luft gejagt … oder mit der Haltestange eines Linienbusses erschlagen … oder mit einem Baseballschläger erstochen … oder mit einem Cocktailglas verstümmelt und ermordet …
 
I’ve gotta be me
 
Hutch Mansell ist ein Nobody. Er hat einen langweiligen Job in der Firma seines Schwiegervaters. Sein Vater lebt in einem Seniorenheim. Hutch und seine Frau leben nur noch nebeneinander her. Und nachdem er sich bei einem nächtlichen Einbruch nicht gegen die Eindringlinge zu Wehr gesetzt hat, verliert sein Sohn den letzten Rest Respekt vor ihm. Als dann noch das Kittycat-Armband seiner Tochter verschwunden ist, reicht es dem „Nobody“ …
 
2015 hat der junge russische Regisseur Ilja Naischuller mit „Hardcore“ eine wunderbar durchgeknallte Action-Extravaganza geschaffen. Der komplett in „First Person Shooter“-Perspektive gedrehte Film hat viele Kritiker überfordert. Der Verleih wusste den Film nicht richtig zu vermarkten und so kennt heute fast niemand den originellsten Action-Film der letzten Jahre. Aufmerksame Leser*innen haben es demnächst an der Kinokasse in der Hand, Naischullers zweitem Spielfilm ein ähnliches Schicksal zu ersparen. Denn „Nobody“ hätte es verdient, ein Erfolg zu werden.
 
 
Das liegt zum einen am Hauptdarsteller. Bob Odenkirk war seit den 80er-Jahren als Comedy-Autor für das Fernsehen tätig. Im Laufe der letzten anderthalb Jahrzehnte konnte man ihn immer öfter in immer größeren Nebenrollen in Serien wie „How I Met Your Mother“ oder „Breaking Bad“ sehen, bevor er in „Better Call Saul“ seine erste Hauptrolle in einer Fernsehserie bekam. In „Nobody“ trägt er den größten Teil des Films auf seinen schmalen Schultern. Und das macht er großartig.
 
Man muss wirklich gut aufpassen, um zu erkennen, was für ein hervorragender Darsteller Odenkirk ist. Er spielt Hutch als langweiligen Spiesser ebenso überzeugend, wie als verzweifelten Vater oder als eiskalten Attentäter. Und dabei trägt er nie dick auf. So wie ein echter Mensch in verschiedenen Lebenssituationen nicht plötzlich wie ausgewechselt agiert, so subtil verändert sich das Verhalten der Hauptfigur in unterschiedlichen Sequenzen des Films. Odenkirk ist ein Schauspieler für sehr aufmerksames Publikum. Wer sich im Kino damit beschäftigt, möglichst viel Käse auf jeden einzelnen Nacho zu bekommen, dem wird während der 92 Minuten von „Nobody“ vielleicht einiges entgehen.
 
The Impossible Dream
 
Fast ebenso großartig wie Odenkirks Darstellung ist die Handlung des Films. Derek Kolstad hat u.a. das Drehbuch zu „John Wick“ geschrieben. Es ist verständlich, wenn jemand den Trailer zu „Nobody“ gesehen hat und diesen Film nun für einen weiteren Aufguss der ewiggleichen Rache-Geschichte hält. Aber das wäre grundfalsch. Wenn man die beiden Filme denn vergleichen möchte, müsste man feststellen, „Nobody“ ist der deutlich intelligentere, reifere Film. „Nobody“ ist „John Wick“ für Erwachsene.
 
01 ©2021 Universal Pictures02 ©2021 Universal Pictures03 ©2021 Universal Pictures04 ©2021 Universal Pictures
 
In „Nobody“ zieht Gewalt immer auch Konsequenzen nach sich. Hier ist nicht jeder Einbrecher gleich Abschaum, den es umgehend totzuschießen gilt. Und hier verschätzt sich ein Held auch schon mal und muss dann die Folgen ertragen. In einer meiner Lieblingsszenen des Films meint der Held, der seine Karriere als harter Knochen vor vielen Jahren an den Nagel gehängt hat, nach langer Zeit wieder mal eine Überzahl an Gegnern aufmischen zu können. Nachdem Variationen dieser Szene in so vielen Filmen immer nach dem gleichen Muster abliefen, läuft sie hier erfrischend anders ab.
Natürlich ist Kolstads Drehbuch nicht perfekt. Ein Polizeibeamter ist zu vorlaut. Die Art wie die russische Mafia ihre Altersvorsorge verwaltet ergibt keinen rechten Sinn. Und die eine oder andere Nebenfigur wurde nicht zu Ende ausgearbeitet. Aber diese Mängel sind vernachlässigbar, wenn man im Laufe des Films erkennt, wie realistisch viele Wendungen der Geschichte ausfallen und wie viele Klischees hier bewusst vermieden wurden. „Nobody“ zeigt die Lächerlichkeit der ewiggleichen Plots nach Mustern wie „Mein-Hund-wurde-ermordet“, „Meine-Tochter-wurde-entführt“, „Jetzt-wurde-auch-noch-meine-Frau-entführt“ oder „Diesmal-wurde-zwar-niemand-entführt-aber-ich-richte-trotzdem-Chaos-an“.
 
Und während man von Odenkirks Darstellung gefesselt, von den Wendungen der Handlung überrascht und der kompetenten Regie unterhalten wird, stellt man fest, welche tiefen, profunden philosophischen Fragen dieser Film behandelt. Was ist ein Mensch, der einen wesentlichen Teil seiner eigenen Vergangenheit verborgen hat? Wenn der Mensch für das verantwortlich ist, was er ist und er damit nicht nur für seine Individualität, sondern für alle Menschen verantwortlich ist, dann ist „Nobody“ plötzlich nicht mehr bloß „John Wick“ für Erwachsene. Dieser Film ist „John Wick“ für Erwachsene die Jean-Paul Sartre gelesen haben.
 
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You’ll never walk alone
 
Aber wie die Existenz dem Wesen vorausgeht, braucht es Darsteller, die den Existentialismus des Drehbuchs glaubhaft und nachvollziehbar vermitteln. Wenn sie dabei, wie Odenkirk, ebenso glaubhaft und nachvollziehbar viele Nebenfiguren der vorgegebenen Fatalität zuführen, diese also abknallen, erstechen, erschlagen und auf andere Weise töten, dann bereichert das den Film ungemein.
 
Der große Christopher Lloyd hat in so unterschiedlichen Filmen wie „Einer flog übers Kuckucksnest“ und „Die Addams Family“ brilliert. Für die meisten von uns ist er Doc Brown aus „Zurück in die Zukunft“. In „Nobody“ stiehlt er den anderen Darstellern die Show als der wehrhafteste Rentner der Filmgeschichte.
 
Connie Nielsen war aufregend in „Im Auftrag des Teufels“, hat ihr Talent in „Gladiator“ verschwendet und hatte zuletzt eine Art Comeback als Hyppolita in „Wonder Woman“. In ihren wenigen Szenen vermeidet sie die bekannten Klischees der ahnungslosen Ehefrau.
 
Die Rolle des russischen Mafiosi ist natürlich ein Klischee. Der Darsteller Alexei Walerjewitsch Serebrjakow schafft es, in einigen Szenen trotzdem die Zweifel seiner Figur zu vermitteln.
 
Fazit
 
Für alle, denen in De Siccas „Die Eingeschlossenen“ zu wenig in die Luft fliegt und in Bergmanns „Das Siebte Siegel“ zu wenig mit vollautomatischen Waffen geschossen wird, kommt nun ein existentialistisches Action-Drama ins Kino. Oder einfacher ausgedrückt: „Nobody“ ist der coolste Film des Jahres!
 
 
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