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Kritik: Morgen ist auch noch ein Tag

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Die italienische Schauspielerin Paola Cortellesi hat ihren ersten Film als Regisseurin gedreht. Aber was ist das für ein Film? Und warum sollten wir ihn uns ansehen?
 
Ansia e dolore
 
Rom kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Schreckensherrschaft des Faschismus ist beendet. Bald stehen die ersten allgemeinen und freien Wahlen an. Aber in vielen Haushalten und Familien herrscht immer noch eine andere Form des Faschismus. Viele von ihren Männern unterdrückte Frauen erleben keine Freiheit. Delia ist eine dieser Frauen. Mit verschiedenen Jobs, für die sie alle schlecht bezahlt wird, unterhält sie ihre Familie und ihren faulen, gewalttätigen Ehemann. Aber Delia hegt noch Hoffnung. Nicht so sehr für sich selbst, als für ihre Tochter. Die junge Marcella soll einmal ein anderes Leben führen als ihre Mutter …
 
Paola Cortellesi ist in Italien ein Star. Sie ist nicht nur eine bekannte Schauspielerin sondern auch Moderatorin. Im deutschen Sprachraum hat man sie vielleicht in „Unsere Lehrerin, die Weihnachtshexe“ gesehen. In „Morgen ist auch noch ein Tag“ inszeniert sie ihren ersten Spielfilm als Regisseurin, hat die Hauptrolle mit sich selbst besetzt und auch am Drehbuch mitgeschrieben. Und sie hat Mut bewiesen und sich für ihren ersten eigenen Film ein sehr schwieriges aber enorm wichtiges Thema ausgesucht. Und dieser Mut macht sich bezahlt.
 
 
Mutig scherrt sich diese große Künstlerin nicht um Formen und Konventionen. Andere Kritiker haben bereits ganz richtig, die Nähe von Cortellesis Film zum italienischen Neorealismus festgestellt. „Morgen ist auch noch ein Tag“ wurde auch schon als altmodisches Melodrama kritisiert und auch das trifft zu. Aber dieser Film ist noch mehr. Ja, Teile dieses Films sind reine Schmonzette. Wieder andere erinnern an die albernen Erfolgskomödien von Castellano & Pipolo. Und die Beziehungen der Figuren untereinander menscheln ganz wunderbar, wie in den besten Filmen Ettore Scolas.
 
Aber diese mutige Mischung aus Neorealismus, Schmonzette und teilweise alberner Komödie funktioniert nicht nur, weil sie so wunderbar menschelt. Sie funktioniert auch, weil Cortellesi und ihre beiden Co-Autoren Furio Andreotti und Gulia Calenda eine großartige Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die immer noch aktuell ist. Eine Geschichte, die uns tief berührt. Und diese Geschichte beschreibt die Schicksale echter Menschen, mit denen wir uns identifizieren können.
 
Paola Cortellesis mutige Mischung funktioniert auch weil dieser Film von Liebe erfüllt ist. Und dieser Film kennt viele Arten von Liebe. Liebe, die einmal war und längst brutal zerstört wurde. Liebe, die einmal war, immer noch da wäre aber nicht mehr sein darf. Flüchtige Liebe, die aus einer Begegnung entstehen kann. Junge Liebe, die blind ist. Liebe zu einem Kind, das diese Liebe gar nicht erwidert aber trotzdem braucht.
 
Aber mehr als alles andere handelt dieser Film von der Liebe zum Leben. Auch wenn das Leben kaum mehr als Schmerz und Entbehrung bietet, sind es doch immer wieder einzelne kleine Momente, die unsere Heldin das Leben lieben und Hoffnung hegen lassen. „Morgen ist auch noch ein Tag“ erzählt vor allem von der Liebe zu einer Idee, von der Liebe zu etwas das größer und wichtiger ist als man selbst.
 
02 ©2024 Tobis Film GmbH03 ©2024 Tobis Film GmbH04 ©2024 Tobis Film GmbH06 ©2024 Tobis Film GmbH
 
Seit Jahren wettere ich gegen überraschende Wendungen in Spielfilmen, Diese sind meistens kein bisschen überraschend („Spider Man: Far from Home““) oder an den Haaren herbeigezogen („Orphan: First Kill“) oder beides („Last Christmas“). Aber Paola Cortellesi zeigt auch hier ebenso viel Mut wie die Hauptfigur ihres Films und liefert uns eine überraschende Wendung, die weder frei von Überraschung noch an den Haaren herbeigezogen ist. Ihre überraschende Wendung ist ein Triumph der Liebe, ein Sieg der Hoffnung über den Schmerz. Diese überraschende Wendung wertet den Film tatsächlich auf. Sie macht aus einem unterhaltsamen, berührenden Film einen wichtigen Film.
 
Nicht nur, aber auch wegen dieser überraschenden Wendung sollten so viele Leute als möglich „Morgen ist auch noch ein Tag“ sehen. Natürlich sollten wir diesen Film auch sehen, weil er ein unterhaltsames, originelles Drama ist. Wir sollten diesen Film sehen, weil hier eine Erstlings-Regisseurin mutige, kreative Entscheidungen getroffen hat (etwa ewige häusliche Gewalt als bizarren Pas de deux zu inszenieren, dessen Schritte und Bewegungen dem Paar längst zu vertraut sind). Aber vor allem wegen seiner überraschenden Wendung und deren zutiefst positiven, hoffnungsvollen Botschaft sollten so viele Menschen als möglich diesen Film sehen.
 
In Italien haben bisher 1,5 Millionen Menschen diesen nicht nur in diesem Land so wichtigen Film gesehen. Damit ist „Morgen ist auch noch ein Tag“ dort zusammen mit „Barbie“ und „Oppenheimer“ einer der erfolgreichsten Kinofilme des letzten Jahres. Und das ist sehr passend. Denn ähnlich wie „Barbie“ vermittelt „Morgen ist auch noch ein Tag“ eine wichtige Botschaft auf unaufdringliche und originelle Weise. Und mehr noch als „Oppenheimer“ zeigt dieser Film die Irrwege früherer Generationen. „Morgen ist auch noch ein Tag“ entzaubert eine Vergangenheit, nach der sich nicht nur in Italien viele sehnen.
 
C'è ancora domani
 
Paola Cortellesi hat eine illustre Schar von Darstellern um sich geschart und führt diese mit leichter Hand. Der italienische Charakterdarsteller Valerio Mastandrea („Diabolik“) ist kaum wiederzuerkennen als selbstgefälliger, gewalttätiger Ehemann. Ihm gelingt der Drahtseilakt, die Erbärmlichkeit eines Schlägers zu zeigen, ohne seine Gefährlichkeit zu schmälern.
 
Weitere Nebendarsteller*innen beleben das Rom der Nachkriegszeit, allen voran Emanuela Fanelli als echte Freundin der Heldin. Aber es ist immer wieder Paola Cortellesi, die nicht nur ihre schwierige Rolle sondern diesen ganzen schwierigen Film auf ihren zarten Schultern trägt. Dabei ist sich die Schauspielerin Paola Cortellesi unter der anspruchsvollen Regie von Paola Cortellesi für nichts zu schade.
 
So verhindert sie in einer romantischen Szene das Abgleiten in den Kitsch indem sie ihre Figur unvorteilhaft und doch menschlich zeigt. Immer wieder zeigen uns die Regisseurin und die Darstellerin die ganze Ambivalenz des Lebens einer Frau in ihrer Zeit. Diese Frau wird geprügelt und ist trotzdem stark. Es wird über sie bestimmt und doch setzt sie ihren Willen durch. Sie wird nicht geliebt und agiert trotzdem liebevoll. Niemand zollt ihr Respekt und trotzdem ist man auf sie angewiesen. Ihr Kleid ist so zerrissen wie ihre Seele. Und doch flickt sie beides immer wieder zusammen, so gut sie es eben vermag.
 
So zeigt uns Paola Cortellesi den kleinen Triumph der geschundenen Frau über ihre Lebensumstände, die sie zu verändern versucht. Und so wird „Morgen ist auch noch ein Tag“ auch ein Triumph einer mutigen Filmemacherin. Am Ende ist der Film ein Triumph des Mutes und der Hoffnung über den Pragmatismus.
 
Fazit
 
Vielleicht ist „Morgen ist auch noch ein Tag“ ein altmodisches Melodram. Dann aber im altmodischen Sinne des Wortes, weil er tiefliegende, innere Konflikte zeigt. Vielleicht ist der Film auch ein bisschen Schmonzette. Aber eine berührende, hervorragend gemachte Schmonzette. Am Ende zeigt uns der Film vieles, was im modernen Kino selten geworden ist. Echte Gefühle. Menschlichkeit. Viel Liebe. Und sehr viel Hoffnung.
 
 
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